Jan Kretzschmar, Geschäftsführer der KW-Development, spricht über NIMBYS und ihre Rolle in der Stadtentwicklung
Herr Kretzschmar, was versteht man unter einem NIMBY? Dieses Wort ist sicherlich nicht jedem Menschen ein Begriff.
„NIMBY“ steht für „Not In My Backyard“, was so viel bedeutet wie „Nicht in meinem Hinterhof“. Es beschreibt Menschen, die zwar grundsätzlich nichts gegen Bauprojekte oder städtebauliche Veränderungen haben, aber sobald diese in ihrer direkten Umgebung stattfinden sollen, massiv Widerstand leisten. Das Phänomen ist besonders in Großstädten wie Berlin, München, Hamburg oder auch Potsdam verbreitet, wo der Bedarf an neuen Wohn- und Gewerbeflächen hoch ist.
Warum wird ein Anwohner zum NIMBY? Was können die Auslöser dafür sein?
Es ist verständlich, dass Menschen sich um ihre Nachbarschaft und die Veränderungen dort sorgen. Sie befürchten eine Verschlechterung ihrer Lebensqualität, sei es durch Lärmbelästigung während der Bauphase oder den Verlust von Grünflächen und unbebautem Ausblick. Viele schätzen die Ruhe und das gewohnte Bild ihrer Umgebung und sehen neue Bauprojekte als Bedrohung. Menschen stehen Veränderungen oft kritisch gegenüber, da der Ist-Zustand bekannt und das Ergebnis einer Änderung dessen unbekannt ist.
Worin liegt das Problem mit dieser Einstellung?
Die Herausforderung ist, dass NIMBYs häufig Fortschritt und notwendige städtebauliche Entwicklungen blockieren. In einer wachsenden Metropole wie Berlin oder Potsdam ist es unvermeidlich, dass neue Gebäude errichtet werden. Wir alle wissen, dass zum Beispiel der Wohnungsbedarf kontinuierlich steigt und ohne neue Bauprojekte kann dieser nicht gedeckt werden. Oder es werden ganze Quartiere mit Wohnen, Büros, Nahversorger und Kita mit Spielplatz geplant, um eine nachhaltige Nachbarschaft zu entwickelt.
Dabei lässt sich nicht immer garantieren, dass jeder weiterhin den freien Blick auf eine grüne Wiese behält. Es entsteht Baulärm, vielleicht gibt es später tobende Kinder vor der Tür oder die eigene Wohnung hat vielleicht eine Stunde weniger Sonnenschein auf dem Fenster. Manche Anwohner sorgen sich auch, dass sie dann keinen Parkplatz genau vor ihrem Haus mehr finden, wenn die Zahl der Nachbarn steigt. Aber unsere Städte müssen sich weiterentwickeln, um den Bedürfnissen aller ihrer Bewohner gerecht zu werden. Das Paradoxe ist, dass NIMBYs zwar meist die Notwendigkeit neuer Wohnungen o.ä. anerkennen, nur sollen diese eben gern anderswo entstehen, nur nicht in ihrem direkten Umfeld.
Können NIMBYs Stadtentwicklung verhindern?
Ja, das können sie unter Umständen tatsächlich. Immer wieder führen Anwohnerproteste dazu, dass Projekte verzögert werden. Das kann die Schaffung neuer Wohn- und Arbeitsräume aber auch von Kitas und Schulen um Jahre zurückwerfen und verschärft langfristig das Problem von Wohnungsknappheit und steigenden Mieten. Kommt es gleichzeitig zu Zinserhöhungen und Baukostensteigerungen, können Projekte auch ganz aufgegeben werden. Es ist wichtig, dass wir einen Ausgleich finden zwischen dem Schutz bestehender Nachbarschaften und der Notwendigkeit, Städte zukunftsfähig zu gestalten und dem Anspruch der Bürger nach ausreichender Wohnraumversorgung nachzukommen.
Hatten Sie bei Ihren Bauprojekten auch schon Kontakt mit NIMBYS? Und wie versuchen Sie Konflikte vorzubeugen?
Unser Ansatz ist es, frühzeitig in den Dialog mit den Anwohnern zu gehen und sie in die Planungen einzubeziehen. Wir verstehen die Sorgen der Menschen, aber gleichzeitig müssen wir den Bedarf der Stadt und ihrer Bewohner im Blick behalten. In Projekten wie der Entwicklung des Quartiers Beelitz-Heilstätten haben wir von Anfang an darauf geachtet, die historische Bausubstanz zu erhalten, aber auch modernen Wohnraum und soziale Infrastruktur für alle Anwohner zu schaffen. Gerade in Bebauungsplanverfahren, die einem größeren Bauvorhaben meist vorangehen, werden die Bürger einbezogen und die zum Teil widerstreitenden Interessen aller Beteiligten gehört und gegeneinander abgewogen. Ein Interessenausgleich ist für eine erfolgreiche Stadtentwicklung entscheidend, für Projektentwickler wie auch Stadtverwaltungen.
Ein weiteres prominentes Beispiel ist das Projekt von uns in Zusammenarbeit mit dem weltbekannten Architekten Daniel Libeskind in Potsdam-Babelsberg. Daniel Libeskind hat für den Standort ein modernes Büroensemble entworfen, das die Medienstadt Babelsberg als Standort für Film- und Medienunternehmen stärken soll. Das Projekt befindet sich nun in einem Werkstattverfahren, damit möglichst viele Meinungen gehört und Hinweise von Fachleuten in die Planung einfließen können. Auch mit einer Gruppe besorgter Anwohner wurde frühzeitig Kontakt aufgenommen. Im Anschluss an das Werkstattverfahren findet dann noch ein Bebauungsplanverfahren statt, bei dem sich alle Bürger und alle betroffenen Fachbehörden einbringen können.
Was macht das Projekt von Libeskind und KW-Development aus?
Das „Media City“ Projekt umfasst ein 94.000 Quadratmeter großes Ensemble auf einem derzeit brachliegenden Baufeld. Bei dem Look der Gebäude hat sich der Architekt – passend zu den benachbarten Filmstudios – von Kameraoptiken und Filmrollen inspirieren lassen. Es soll ein markanter Beitrag zur Weiterentwicklung der Medienstadt Babelsberg sein, einem Zentrum der deutschen Filmindustrie. Solche Projekte sind für die wirtschaftliche Zukunft einer Stadt enorm wichtig. Sie schaffen Arbeitsplätze und moderne Infrastruktur sowie ein charakteristisches Alleinstellungsmerkmal für den Standort Medienstadt.
Wie reagierten die Anwohner auf das Projekt?
Die Nachbarn hatten hier vor allem Angst vor der Höhe eines 66 Meter großen Bürogebäudes und den daraus resultierenden Verschattungen. Aber auch die Sorge, dass durch die künftigen Mitarbeiter in den Büros zu viel Verkehr aufkommen würde, ist groß. Diese Reaktion zeigt, dass NIMBY-Haltungen in historisch gewachsenen Stadtteilen besonders stark sind – eben dort, wo die Menschen Veränderungen skeptisch gegenüberstehen. Das Beispiel verdeutlicht aber auch, wie wichtig es ist, den Dialog zwischen Projektentwicklern und Anwohnern frühzeitig zu suchen, um eine Balance zwischen Fortschritt und den Bedürfnissen der Bevölkerung zu finden.
Und wie geht es mit dem Projekt nun weiter?
Wir sind derzeit noch im Workshopverfahren gemeinsam mit den Vertretern aus der Stadtverwaltung. Wir möchten, dass – trotz der unterschiedlichen Interessen und Erwartungen – am Ende des Workshops ein Ergebnis herauskommt, mit dem alle Parteien zufrieden sind. Das Gebäudeensemble soll zu einem Ort werden, der die Entwicklung Babelsbergs als Medienstandort maßgeblich beflügelt. Wir nutzen die Zeit bis zum dritten Workshop intensiv, um die bisher eingereichten Fragen und Anregungen zu prüfen, mit wichtigen Partnern am Standort in konstruktiven Dialog zu treten und den nächsten Termin optimal vorzubereiten.
Auch für die Bedenken der Bürger haben wir ein offenes Ohr. Aber wir behalten auch die Vision unseres Architekten Daniel Libeskind im Blick, der sich intensiv damit auseinandergesetzt hat, welche Form von Gebäuden an diesen Ort passen und eine Strahlkraft entwickeln, die den Standort Medienstadt Babelsberg national und international wettbewerbsfähig hält. Daher richten wir unseren Fokus auf das Werkstattverfahren und werden das Projekt dort sachlich und fachlich intensiv diskutieren. Denn wir sind der festen Überzeugung, dass diese Entwicklung eine essentielle für das Fortbestehen des Medienstandorts und seiner damit verbundenen Arbeitsplätze darstellt.